Autogenes Training, Meditieren, Mantren singen - alles viel zu stressig! Beim "Floating" im stockfinsteren Wassertank entspannen wir uns einfacher und tiefer, behaupten Forscher.
Nüchtern betrachtet ähnelt das Gebilde einem überdimensionierten Ei. Oder einem Ufo. Zweieinhalb Meter lang, knapp anderthalb Meter breit, ungefähr genauso hoch. Darin: 30 bis 40 Zentimeter tiefes, körperwarmes Salzwasser, fast gesättigt und damit konzentriert genug, einen Menschen zu tragen. Ihn schweben, träumen zu lassen. Sein Bewusstsein zumindest für kurze Zeit in andere Sphären zu hieven. "Floating ist ein ganz besonderes Erlebnis, ein Ur-Erlebnis" schwärmt Benjamin Tochtermann, der im Münchner Nobelviertel Schwabing ausgelaug-te, neugierige, vor allem aber zahlungskräftige Kunden in seinem Float-Center empfängt.
Schweben im Wassertank
Den Besucher erwartet eine leicht esoterisch angehauchte, Vertrauen erweckende Atmosphäre. Genau das Richtige für einen Floating-Novizen, der seiner ersten Reise ins Nirwana mit zwiespältigen Gefühlen entgegensieht: Halb amüsiert, halb skeptisch steige ich im Adamskostüm in den Tank. Als sich der Deckel über mir langsam schließt, wird es stockfinster, still - und eng. Gut, ich kann die Kapsel jederzeit per Knopfdruck öffnen, falls mich klaustrophobische Gefühle bedrängen. Und ich darf jederzeit ein Infrarotlämpchen anknipsen, falls die Dunkelheit unbehaglich wird. Doch dann wäre der ganze Sinn des Unternehmens dahin: der völlige Entzug aller äußeren Reize - nichts hören, nichts sehen, schweben in der Schwerelosigkeit.
Einfach treiben lassen Alles ist schwarz. Ob sich die Kapsel notfalls wirklich öffnen lässt? Ich misstraue der Technik. Also testen: Jawohl, funktioniert. Jetzt aber endlich abschalten! Erneut bette ich mich in bester Absicht und will doch den Kopf immer wieder heben. Wieso ist es so schwer, sich dem tragenden Nass anzuvertrauen? Minuten vergehen, von Entspannung keine Spur. Dann passiert das Seltsame: Ohne dass ich mir dessen bewusst bin, taucht der Hinterkopf wie von selbst ins Wasser ein, als könne er nicht länger widerstehen. Von da an lasse ich mich treiben - im wahrsten Sinn des Wortes.
Langsam, ganz langsam ziehen traumartige Sequenzen vor dem inneren Auge vorbei. Dann zucken Blitze. Farben leuchten, werden intensiver. Die Schwere des Körpers weicht so rasch wie das Gefühl für die Zeit. Als würde überschüssige Luft aus einem Reifen gelassen. Und so fliegt auch mein Geist. Als sich nach einer Dreiviertelstunde die Luke der Kapsel von selbst wieder öffnet, meine ich dem Universum in seiner schönsten Form zu begegnen: Der Kopf ist klar, die Haut samtweich - als ob die Sonne nur für mich allein scheint! Kein Zweifel: Das System schafft es tatsächlich, nahezu alle Reize auszuschalten - kein Licht, kein Lärm, keine Schwerkraft, kein Druck, kein Empfinden von kalt oder warm. Nur - neu ist Floating keineswegs.
Flotation-REST (für Restricted Environmental Stimula-tion Technique), wie das Verfahren wissenschaftlich heißt, ist das geistige Kind des amerikanischen Neurophysiologen John Lilly, der an den National Institutes of Health in den USA ein ähnliches Gerät schon in den 1950er Jahren im Zusammenhang mit seiner Forschung zum Thema "Sensorische Deprivation" entwickelt hatte. Zu rein wissenschaftlichen Zwecken, versteht sich: Er hoffte die -Frage zu beantworten, ob bewusste Hirnaktivitäten äußere Stimulationen brauchen oder ob das Gehirn auch ohne Reize "schwingt".
Seine Fachkollegen betrachteten Lillys Selbstversuche zunächst voller Argwohn. Totaler Reizentzug, hieß es seinerzeit, mache Menschen schnell geisteskrank. Jedoch erlebte Lilly im Tank keineswegs Wirrnis, im Gegenteil. Nach eigener Auskunft profitierte er von "völlig neuen inneren Erfahrungen". Für den Floating-Pionier handelte es sich dabei eindeutig um "veränderte Bewusstseinszustände", im Englischen "Altered States of Consciousness" (ASC).
Gehirnwäsche durch totalen Reizentzug?
Welche Auswirkungen das Floating auf Schmerzempfinden und Glücksgefühle hat.
Gehirnwäsche durch totalen Reizentzug? Diese mit besonderer neuronaler Aktivität einhergehenden Zustände registrieren Neurophysiologen inzwischen nicht nur während des Schlafs, sondern auch beim Tagträumen und Meditieren, bei Entspannungsübungen, nach Drogengenuss - und eben bei totalem Reizentzug. Bereits zu Beginn der LSD-Ära in den 1940er Jahren standen veränderte Bewusstseinszustände im Fokus der Wissenschaft, wobei man sich zunächst auf den Rausch mit schweren Halluzinationen konzentrierte. Spätestens aber als Gerüchte kursierten, US-Gefangene im Koreakrieg würden per Isolation einer Gehirnwäsche unterzogen, rückten auch die milderen Bewusstseinsveränderungen durch Deprivation ins Blickfeld.
Damals begann sogar der bekannte Neuropsychologe Donald Hebb mit entsprechenden Experimenten: Bis zu fünf Tage lang harrten seine Probanden mit abgedunkelten Brillen aus, durch die nur ein Schimmer von Licht fiel. Nichts drang an ihr Ohr außer einem gleichförmigen Brummen. Die beängstigenden Folgen: Die Konzentrationsfähigkeit schwand, viele halluzinierten leicht, am Ende waren ihre Sinne verwirrt - und die Versuchspersonen schienen tatsächlich leichter zugänglich für Suggestionen.
Nun ist ein "veränderter Bewusstseinszustand" eine äußerst subjektive Angelegenheit und daher wissenschaftlich noch kaum verstanden. Definitionen gibt es deshalb viele. "Eine umfassende Theorie fehlt, wie zum Begriff des Bewusstseins überhaupt", resümiert die schwedische Psychologin Anette Kjellgren von der Universität Göteborg das Problem der Floating-Forscher. Vielleicht wegen dieses Mangels an Objektivierbarkeit galt Floating lange Zeit als Kuriosum, behaftet mit dem Makel des Parawissenschaftlichen. Erst in jüngster Zeit scheint sich dies zu ändern. In den vergangenen Jahren bestätigten Kjellgren und ihre Mitarbeiter in einer umfangreichen Versuchsserie mit fast 160 Probanden die von Lilly postulierten Effekte.
Um den Grad der Bewusstseinsveränderungen bewerten zu können, legte sie ihren Probanden nach dem Aufenthalt im Tank eine Liste mit knapp 30 Fragen oder Aussagen vor wie "Ich sah Licht oder Blitze in totaler Dunkelheit oder mit geschlossenen Augen"; "Ich sah Szenen wie in einem Film"; "Ich hörte Stimmen, obwohl niemand zugegen war". Zusätzlich beschrieben die Teilnehmer ihre Erlebnisse mit eigenen Worten.
Über zwei Drittel berichteten von visuellen Wahrnehmungen - meist elementare Erscheinungen von Farbe und Licht. Andere erlebten "Pseudo-Halluzinationen": Sie sahen Bilder oder kleine Filme, wobei ihnen stets klar war, dass es sich nicht um die Wirklichkeit handelte. Stimmen hörte ein Fünftel der Probanden. Zu echten Halluzinationen mit Realitätsverlust, wie sie bei Drogenkonsum oder Schizophrenie auftreten, kam es dagegen nie. Neun von zehn Teilnehmern verloren im Tank ihr Zeitgefühl - ein Ergebnis, das sich mit dem aus vorherigen Studien deckt. Die Zeit verrinnt "schneller als üblich", so der vorherrschende Eindruck, vermutlich weil beim Floating jegliche Anhaltspunkte für Zeitbestimmungen fehlen. Als einzige Taktgeber bleiben die Atemfrequenz und der Rhythmus des Herzschlags.
Zurück in den Mutterleib Schließlich erzählten die Probanden mehrfach von "transpersonalen Erfahrungen": Sie fühlten sich etwa zurückversetzt in die Zeit im Mutterleib oder während der Geburt, meinten, den Kontakt mit dem eigenen Körper zu verlieren, sahen sich selbst wie von außen oder "verschmolzen in zeitloser Einheit mit dem Kosmos". Angst verspürte dagegen so gut wie niemand in der Kapsel - und wenn doch, dann verlor sie sich nach einigen Tank-Besuchen. Daher werteten nahezu alle Probanden das Floating unterm Strich als angenehmes Erlebnis. Für Anette Kjellgren sind derlei grundlegende Daten wichtig. Sie will Floating in Europa etablieren, um bestimmte Krankheiten zu behandeln. Tatsächlich erkunden die wissenschaftlichen Jünger John Lillys das therapeutische Potenzial des Verfahrens bereits seit den 1980er Jahren intensiv.
Als Ausgangspunkt diente der abfallende Stress und die Entspannung, von denen die Teilnehmer immer wieder berichteten. Was sich auch auf körperlicher Ebene niederschlägt: Die Blutpegel von Stresshormo-nen wie Cortisol und Adrenalin sinken nicht nur während der Zeit im Tank - teilweise halten die physiologischen Effekte auch darüber hinaus noch an. Bei Hypertoniepatienten beispielsweise fiel der Blutdruck nach 20 Behandlungen dau-erhaft ab, wie der Psychiater Thomas Fine vom Medical College of Ohio und sein Kollege John Turner beobachteten. "Flotation-REST kann Menschen mit stressverbundenen Störungen helfen", fol-gert Fine. Und diverse klinische Studien an Patienten mit Bluthochdruck, Angst-Syndromen, Schlaflosigkeit, prämenstruellem Syndrom, Rheuma und chroni-schem Schmerz scheinen ihm Recht zu geben. Allerdings beteiligten sich an all diesen Untersuchungen jeweils nur wenige Personen - was die statistische Aussagekraft einschränkt. "Es fehlt eine wirklich große Studie", räumen der Floating-Papst Fine und der Psychologe Roderick Borrie vom South Oaks Hospital in Amityville (US-Bundesstaat New York) ein.
Augenfällig ist jedoch die Wirkung der Tank-Technik auf das Schmerzempfinden. Dieses geht bei vielen Patienten während des Floating auf ein Minimum zurück, und oft hält der Effekt noch für Stunden an. Das klingt wenig spektakulär, bedeutet dem chronisch Gepeinigten jedoch viel. Wahrscheinlich beruht die Schmerzreduktion auf der erwiesenermaßen tiefen körperlichen Entspannung beim Reizentzug. Mehrfach nahmen Wissenschaftler die elektrische Aktivität der Muskeln von Floatern in "Elektromyogrammen" (EMG) auf und verglichen sie mit der von Menschen, die andere Entspannungstechniken nutzten. Stets waren die Muskeln der Tank-Besucher lockerer - und zwar auch noch drei Wochen nach dem letzten "Trip". Auch die Werte des Stresshormons Noradrenalin sinken bei Schmerzpatienten während des Floating - so das Resultat einer neuen Studie Anette Kjellgrens.
Einmal Thetawellenreiten, bitte! Inzwischen hat die Psychologin auch die kognitiven Effekte der Tank-Therapie ins Visier genommen: In tiefer meditativer Entspannung "schwingt" die Aktivität menschlicher Gehirne vermehrt mit einer Frequenz von drei bis acht Hertz - zu erkennen bei der Messung der Hirnströme im Elektroencephalogramm (EEG). Solche niederfrequenten Theta-Wellen öffnen während des Einschlafens das Tor zum Unbewussten. Gleichzeitig scheint das Gehirn in dieser Phase bereit, Dinge "unkritisch" aufzunehmen - sein Besitzer wird leichter empfänglich für Suggestionen sowie Autosuggestionen. Ähnliches passiert offenbar beim Floating: "Schon nach einer Stunde steigen die Theta-Werte deutlich", bestätigt Gary Stern von der University of Colorado in Denver. EEG-Studien seines Kollegen Thomas Budzynski von der University of Washington (Seattle) ergaben zudem, dass sich während des Floating insbesondere die "kreativ-emotionale" rechte Hemisphäre ins Zeug legt, während sich die normalerweise dominierende linke zurückhält. "Die rechte Hirnhälfte stürmt nach vorn und schreit: ›Hurra, da bin ich!‹", witzelt Budzynski.
Lernen im Dunkeln Womöglich verbessern sich auch die Lernleistungen, je mehr Theta-Wellen sich entwickeln und je aktiver die rechte Hirnseite ist. Darauf weist jedenfalls eine ältere Untersuchung von Thomas Taylor von der Texas University hin, die er 1983 auf einem Kongress vorstellte. Er ver-glich die Lern- und Denkleistungen mit und ohne Floating. Alle Versuchspersonen hörten einem Sprecher zu, der den Lernstoff vortrug. Dabei entspannte sich die eine Gruppe in einem abgedunkelten Raum, die Studienteilnehmer der zweiten dagegen lagen im Tank. Anschließend testete Taylors Team, was bei den Probanden hängen geblieben war - ob sie den gelernten Stoff auf andere Situationen anwenden und das Gelernte kreativ verknüpfen konnten. Ergebnis: Die Floater schnitten stets besser ab! Hierbei handelt es sich vermutlich um keinen reinen Stimmungseffekt - die Pegel der Endorphine verändern sich beim Floaten nämlich nicht.
Für den -immer wieder kolportierten Schub an "Glückshormonen" gibt es keinen zwingenden Beweis, bestätigt Kjellgren. Vielmehr falle auf, dass besonders jene Personen der Floating-Gruppe ihre Leis-tungen steigerten, die über ein gutes bildliches Vorstellungsvermögen verfügen. Fördern die beim Floaten beobachteten Theta-Wellen also Denkleistungen, bei denen Visualisierung gefragt ist? Das zumindest glaubt Anette Kjellgren nach ihren jüngsten Versuchen, bei denen sie die Kreativität von etwa drei Dutzend Probanden vor und nach einem Tank-Besuch unter die Lupe nahm. Ergebnis: Die Floater fantasierten durchweg kreativer. Kjellgren führt dies auf die veränderten Bewusstseinszustände zurück, von denen ihre Probanden berichten: In einer Studie beispielsweise fühlten sich drei Viertel der Teilnehmer, als würden sie fliegen oder gleiten - eine abgeschwächte Form der Dissoziation von Körper und Geist, die in diesem Fall nicht mit Angst einhergeht. Gleichermaßen erzählten Testpersonen von Erfahrungen, die einem so genannten Klar-traum ähneln. In diesem Zustand weiß der Betroffene, dass er träumt, und kann die Traumhandlung quasi per Willenskraft in die gewünschte Richtung lenken.
"Nicht einen negativen Aspekt haben wir in unseren Studien beobachtet", freut sich Kjellgren. Sie würde das Verfahren gerne öfter medizinisch genutzt sehen - als wirksame Entspannungstechnik. "Man muss nicht jahrelang meditieren, um von den angenehmen Folgen eines leicht veränderten Bewusstseinszustands zu profitieren", erklärt die schwedische Forscherin: "Mit Floating geht das leichter."
Der "Gehirn & Geist"-Autor Klaus Wilhelm ist Biologe und überwand sein Misstrauen gegenüber dem Tank durch einen heroischen Selbstversuch.